Eine Freinet-Schule ist eine Schule, die nach dem reformpädagogischen Konzept von Célestin Freinet arbeitet und auf kindzentrierte, praxisnahe Lernansätze setzt. Sie unterscheidet sich von herkömmlichen Schulen durch ihre offene, flexible Struktur, in der Kinder selbstständig lernen, Projekte gestalten und Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen.
Ziel ist es, Lernen lebendig, sinnvoll und an den Interessen der Kinder orientiert zu gestalten, sodass Freude am Entdecken, Kooperation und demokratisches Mitbestimmen integraler Bestandteil des Schulalltags werden. Erfahre mehr über den Ursprung dieser alternativen Schulform, ihre Merkmale und den Alltag.
Woher kommt der Ansatz der Freinet-Pädagogik?
Der Ansatz der Freinet-Pädagogik geht auf den französischen Lehrer und Reformpädagogen Célestin Freinet (1896–1966) zurück. In den 1920er-Jahren suchte Freinet nach einer Alternative zum starren und autoritären Schulsystem seiner Zeit.
Während seiner Tätigkeit als Lehrer stellte er fest, dass die traditionelle Schule Kinder vor allem auf das Auswendiglernen und die Erfüllung von Lehrplänen reduzierte, anstatt sie auf das Leben vorzubereiten. Er beobachtete, dass Kinder dann am besten lernen, wenn sie aktiv und selbstbestimmt handeln können.
Daraus entwickelte er das Prinzip des „Lernens durch Tun“, das zur Grundlage seiner Pädagogik wurde. Lernen sollte für Kinder einen echten Lebensbezug haben und aus ihren eigenen Interessen und Erfahrungen heraus entstehen. So entstanden praxisnahe Projekte, wie etwa das gemeinsame Anlegen eines Gartens, bei dem Kinder nicht nur Natur erleben, sondern auch mathematische und sprachliche Kompetenzen erwerben.
Der Geist ist keine Scheune, die man füllt, sondern eine Flamme, die man nährt.
– Célestin Freinet
In Zusammenarbeit mit anderen engagierten Lehrkräften gründete Freinet eine Bewegung, die eigene Unterrichtsmaterialien entwickelte. 1933 eröffnete er schließlich in Vence die erste „École Moderne“, die bis heute nach seinen Prinzipien arbeitet und als Ursprung der internationalen Freinet-Bewegung gilt.
PS: Erfahre mehr über die Waldorf-Pädagogik.
Merkmale der Freinet Pädagogik im Überblick
Die Freinet-Pädagogik zeichnet sich durch eine kindzentrierte, demokratische und praxisorientierte Haltung aus, die das selbstständige, verantwortungsbewusste und gemeinschaftliche Lernen in den Mittelpunkt stellt.
Ihr zentrales Ziel ist es, Kinder darin zu unterstützen, sich Wissen eigenständig anzueignen und dabei zu verstehen, warum sie etwas lernen. Lernen soll nicht als Pflicht, sondern als sinnstiftender, lebendiger Prozess erlebt werden, der an die natürlichen Interessen, Erfahrungen und Fragen der Kinder anknüpft.
Das Ziel der Freinet-Lehrmethode ist es, Kinder zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem und gemeinschaftlichem Lernen zu befähigen. Sie sollen entdecken, verstehen und gestalten können – aus eigenem Antrieb und mit Bezug zu ihrem realen Leben.
Ein Grundprinzip der Freinet-Pädagogik ist das „Lernen durch Tun“. Kinder entdecken und begreifen die Welt, indem sie aktiv handeln, experimentieren und gestalten. Sie lernen durch praktische Erfahrungen, etwa beim Gärtnern, Schreiben, Forschen oder beim gemeinsamen Lösen realer Aufgaben.
Dabei stehen Eigenverantwortung, Kooperation und soziale Verantwortung im Vordergrund: Wissen wird nicht passiv aufgenommen, sondern in der Gemeinschaft erarbeitet. So lernen Kinder, miteinander zu arbeiten, Rücksicht zu nehmen und Verantwortung zu übernehmen.
Ein weiteres zentrales Merkmal ist die Demokratieerziehung. Kinder werden in Entscheidungsprozesse einbezogen – etwa in Form eines Klassen- oder Kinderrats. Dort diskutieren sie Regeln, planen Projekte und stimmen über Aktivitäten ab. Diese Mitbestimmung fördert nicht nur ihr Selbstbewusstsein, sondern auch ihr Verständnis für Demokratie, Gerechtigkeit und soziale Teilhabe.
Auch die verwendeten Lernmittel sind offen und kreativ: Freinet nutzte Werkstätten, Schulküchen, Druckereien oder Korrespondenzen mit anderen Schulen, um Lernen lebensnah zu gestalten. Insgesamt verfolgt die Freinet-Pädagogik das Ziel, Kinder zu selbstbestimmten, neugierigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu erziehen, die aktiv und reflektiert an ihrer Umwelt teilhaben.
Übrigens: Auch bei Montessori stehen Selbstständigkeit und Eigenverantwortung im Fokus.
Grundsätze der Freinet-Pädagogik auf einen Blick
- Freie Entfaltung und Eigenverantwortung
- Kooperation und soziale Verantwortung
- Erfahrungsbasiertes und handlungsorientiertes Lernen
- Demokratie und Mitbestimmung
- Offene Lernmittel und -methoden
- Arbeit als zentrales Lernprinzip
Rolle der pädagogischen Fachkräfte
In der Freinet-Pädagogik verstehen sich Lehrkräfte nicht als Wissensvermittler im klassischen Sinn, sondern als Begleiter und Unterstützer der Kinder im Lernprozess. Ihre Aufgabe besteht darin, eine anregende, offene Lernumgebung zu schaffen, in der Kinder ihren Interessen nachgehen und eigenständig Erfahrungen sammeln können.
Dabei beobachten sie aufmerksam, wo Unterstützung nötig ist, und helfen, wenn Kinder bei ihren Projekten Orientierung oder fachliches Wissen benötigen. Ein Beispiel ist die gemeinsame Projektarbeit: Wenn Kinder etwa ein Theaterstück planen, unterstützen die Lehrkräfte bei der Organisation und Materialbeschaffung, ohne die kreative Gestaltung zu übernehmen.

Eine gute Freinet-Lehrkraft zeichnet sich durch Geduld, Vertrauen und Flexibilität aus. Sie respektiert die Eigeninitiative der Kinder, fördert ihre Selbstständigkeit und bringt Lehrplaninhalte behutsam mit ihren Interessen in Einklang – immer mit dem Ziel, Lernen sinnvoll, lebendig und kindgerecht zu gestalten.
Freinet Pädagogik: Bild vom Kind
In der Freinet-Pädagogik wird das Kind als aktiver, neugieriger und eigenverantwortlicher Lernender gesehen. Es steht im Mittelpunkt des pädagogischen Handelns und wird als einzigartige Persönlichkeit mit individuellen Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen wahrgenommen.
Diese Haltung zeigt sich in der Freiheit, die den Kindern im Alltag gewährt wird: Sie dürfen eigene Projekte auswählen, Ideen umsetzen und ihrem Entdeckerdrang folgen. So kann etwa ein Kind, das sich für Tiere interessiert, ein eigenes „Tiersachbuch“ gestalten, Informationen sammeln und mit anderen Kindern darüber sprechen.
Durch solche selbstgewählten Lernprozesse übernehmen die Kinder Verantwortung für ihr Lernen, entwickeln Selbstvertrauen und erfahren, dass ihre Gedanken und Handlungen wertvoll sind – eine Grundvoraussetzung für selbstbestimmtes Lernen.
So sieht der Alltag in einer Freinet-Einrichtung aus
Der Alltag in einer Freinet-Einrichtung ist von Freiheit, Eigenverantwortung und gemeinschaftlichem Lernen geprägt. Die Kinder gestalten ihren Tag weitgehend selbst und wählen Aktivitäten nach ihren Interessen. Freinet bezeichnete das Spielen als „Arbeit des Kindes“. Neben Freispiel, Naturerkundung und Werkstattarbeit können Kinder malen, basteln, schreiben oder experimentieren. Diese offene Struktur fördert Kreativität, Selbstständigkeit und Freude am Lernen.
Selbstverwaltung:
In Freinet-Klassen organisieren sich die Schüler:innen weitgehend selbst. Der Klassenrat ist dabei das Herzstück: Hier treffen sich alle Kinder wöchentlich, um Regeln, Projekte und Aufgaben zu besprechen. Entscheidungen werden demokratisch gefällt, Verantwortlichkeiten verteilt und Ideen gemeinsam entwickelt. So erleben die Kinder Demokratie im Alltag und lernen, Verantwortung für ihre Gemeinschaft zu übernehmen.
Wochenplan:
Jede:r Schüler:in erstellt im Klassenrat einen individuellen Wochenplan, der persönliche Lernziele und Aufgaben enthält. Dieser Plan verbindet die Interessen der Kinder mit den Anforderungen des Lehrplans. Die Lehrkraft begleitet diesen Prozess beratend. So lernen Kinder, ihre Zeit zu strukturieren, Prioritäten zu setzen und eigenverantwortlich zu arbeiten – zentrale Kompetenzen für selbstständiges Lernen.
Morgenkreis:
Der Morgenkreis bildet den gemeinsamen Start in den Tag. Hier werden Pläne besprochen, Projekte vorgestellt und Aufgaben verteilt. Die Schüler:innen berichten von ihrem Fortschritt und tauschen Ideen aus. Der Kreis fördert Kommunikation, Gemeinschaftsgefühl und gegenseitige Wertschätzung – ein wichtiger Bestandteil des demokratischen Miteinanders.
Der Alltag in einer Freinet-Schule ist projektorientiert, kooperativ und individuell gestaltet. Die Schüler:innen wählen selbstständig ihre Arbeiten und Lernwege. Statt Frontalunterricht gibt es Werkstattphasen, Gruppenarbeit und praxisnahe Projekte.
Lehrkräfte begleiten die Kinder dabei als Unterstützende, nicht als Anleitende. In einer typischen Klasse mit 15 bis 20 Schüler:innen entsteht so eine lebendige Lernkultur, in der Motivation, Verantwortung und Selbstorganisation im Mittelpunkt stehen – Lernen wird zu einem gemeinschaftlichen, sinnvollen Prozess.
Lehrmaterialien und Lehrplan
An Freinet-Schulen spielen selbst erarbeitete Materialien und ein flexibler Lehrplan eine zentrale Rolle. Klassische Schulbücher werden nicht genutzt; stattdessen erstellen Lehrer:innen und Schüler:innen gemeinsam eine Dokumentensammlung, die alle Arbeiten der Klasse enthält und von zukünftigen Klassen weiterverwendet werden kann.
Ergänzend stehen den Schüler:innen eine Bücherei sowie eine Arbeitsmittelkartei zur Verfügung, in der Anleitungen zu Geräten, Maschinen und Projekten gesammelt sind. Der Lehrplan orientiert sich stark an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder und ist flexibel gestaltbar. Lernen erfolgt durch:
- Projekte: praxisnah und handlungsorientiert, z. B. Theaterstücke, Gärten oder technische Experimente – wie an Jenaplanschulen.
- Experimente und praktische Tätigkeiten: fördern selbstständiges Entdecken und Problemlösen.
- Individuelle Wochenpläne: Jede:r Schüler:in legt gemeinsam mit der Lehrkraft Pflicht- und Freiaufgaben fest, kann in Einzel- oder Gruppenarbeit arbeiten und gezielt Schwächen ausgleichen.
Im Unterricht werden die Arbeiten regelmäßig besprochen, korrigiert und reflektiert, wodurch Schüler:innen Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen und gleichzeitig ihre sozialen Kompetenzen stärken.
Benotung an Freinet-Schulen
An Freinet-Schulen erfolgt die Benotung anders als an herkömmlichen Schulen: Sie ist prozessorientiert, individuell und stark auf Rückmeldung ausgerichtet. Schüler:innen werden aktiv in die Beurteilung einbezogen, indem sie regelmäßig ihre eigenen Fortschritte reflektieren und lernen, ihre Leistungen einzuschätzen.
Die Lehrkraft unterstützt diesen Prozess durch mündliche und schriftliche Rückmeldungen, in denen Stärken, Entwicklungsbereiche und Lernerfolge besprochen werden. Alle Arbeiten werden in Portfolios dokumentiert, die nicht nur Endergebnisse, sondern auch den gesamten Lernprozess sichtbar machen.
An Freinet-Schulen gibt es in der Regel keine klassischen Noten. Stattdessen erhalten die Schüler:innen individuelle Rückmeldungen und führen Portfolios, in denen ihre Lernfortschritte dokumentiert und besprochen werden.
Ziel ist es, die Lernfreude zu erhalten, Motivation zu fördern und die Reflexionsfähigkeit der Kinder zu stärken, sodass sie eigenverantwortlich und bewusst an ihrem Lernen arbeiten können. Auf diese Weise wird Leistung als individueller Entwicklungsprozess verstanden, nicht nur als Endnote.
Freinet Pädagogik: Raumgestaltung
In Freinet-Schulen und -Kindergärten spielt die Raumgestaltung eine zentrale Rolle für selbstständiges und kooperatives Lernen. Klassenzimmer sind offen und flexibel eingerichtet, nicht frontal ausgerichtet, sodass sowohl Einzel- als auch Gruppenarbeit möglich sind. Verschiedene Lernbereiche fördern unterschiedliche Aktivitäten und Interessen:
- Druckerei-Bereich: für Texte, Projekte und kreative Druckarbeiten
- Bibliothek: Rückzugsort und Lernressource für eigenständiges Lesen
- Experimentierecke: für naturwissenschaftliche Entdeckungen und Experimente
- Atelier/Kreativbereich: Malen, Basteln, Gestalten
- Klassendienste-Bereich: Organisation und Verantwortungsübernahme innerhalb der Klasse

Auch die Außenanlagen werden aktiv genutzt. Gärten, kleine Tiergehege oder Naturbereiche ermöglichen praktische Erfahrungen, Naturbeobachtungen und handlungsorientiertes Lernen. Die Raumgestaltung unterstützt somit die Selbstständigkeit, Kreativität und soziale Interaktion der Kinder und bildet eine zentrale Grundlage für das Freinet-Konzept.





