Seit 1991 kürt eine unabhängige Jury jährlich ein "Unwort des Jahres" in Deutschland. Damit ermutigt sie die Gesellschaft, Sprache kritisch zu hinterfragen, zu reflektieren und sensibler für die Verwendung von Sprache zu werden.
Als jüngstes Unwort des Jahres wurde im Januar 2021 der Begriff "Pushback" ausgewählt. Weiter unten im Artikel erfährst du, was damit gemeint ist und warum der Begriff als "Unwort" betrachtet wird. Außerdem lernst du, wie die Wahl abläuft, wer dahinter steckt, welche Kriterien dabei gelten und welche Wörter in den letzten 30 Jahren die Wahl gewonnen haben.
Wer steckt hinter der Wahl des "Unwort des Jahres"?
Bereits seit 1991 wird jährlich ein sogenanntes "Unwort des Jahres" gewählt und öffentlich bekannt gegeben. Die Idee dazu hatte der Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser aus Frankfurt.
In den ersten Jahren war die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) für die Wahl zuständig, die auch jährlich das Wort des Jahres kürt. Allerdings gab es Diskrepanzen zwischen der GfdS und der Jury in Bezug auf die Ziele und den Ablauf der Wahl, so dass das Unwort des Jahres seit 1994 politisch und institutionell unabhängig gewählt wird.
Der Gründer Horst Dieter Schlosser war bis 2010 sowohl Vorsitzender als auch Sprecher der von nun an selbständigen Jury für die "Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres". Anschließend, von 2011 bis 2020, wurden diese Ämter von der Linguistin Nina Janich übernommen. Ihre Nachfolgerin ist seit 2021 Constanze Spieß, ebenfalls Linguistin.

Insgesamt besteht die Jury aus sechs Mitgliedern. Darunter sind fünf feste Mitglieder sowie ein jährlich wechselndes Mitglied mit Sprachinteresse aus dem öffentlichen Kultur- oder Medienbereich.
Die fünf festen Mitglieder der Jury sind derzeit:
- Constanze Spieß (Sprachwissenschaftlerin)
- Kristin Kuck (Sprachwissenschaftlerin)
- David Römer (Sprachwissenschaftler)
- Martin Reisigl (Sprachwissenschaftler)
- Katharina Kütemeyer (Journalistin)
Die Jury arbeitet ehrenamtlich und steht nicht in Verbindung mit Universitäten, Verlagen oder anderen Sprachvereinen bzw. Sprachgesellschaften. Das unterscheidet die Wahl des Unwort des Jahres von ähnlichen Wahlen: Die Auswahl des Jugendwort des Jahres beispielsweise steht häufig in der Kritik, weil sie vom Langenscheidt-Verlag durchgeführt wird.
Das Ziel der Sprachkritik
Die Jurymitglieder verstehen sich dabei nicht als "Schützer der deutschen Sprache". Die Kür zum Unwort des Jahres bedeutet nicht, dass das Wort fortan verboten ist. Vielmehr ist die Idee hinter der Wahl, das Sprachbewusstsein der Gesellschaft zu schärfen und unabhängige Sprachkritik auch außerhalb der Hörsäle von Universitäten zu fördern.
Die Bevölkerung wird eingeladen, insbesondere den öffentlichen Gebrauch von Sprache stärker zu reflektieren und sensibler für Sprache zu werden. Die einzelnen Jurymitglieder fühlen sich von ihrem Interesse an der deutschen Sprache motiviert und "verstehen sich als Vermittler:innen öffentlichen Unbehagens an bestimmten Sprachgebrauchsweisen", wie sie es auf ihrer Website selbst ausdrücken.

Verschiedene Arten der Umgangssprache kannst du in einem Deutschkurs Frankfurt kennenlernen.
Was ein Wort zum Unwort macht
Bei der Auswahl des Unwort eines Jahres orientiert sich die Jury an transparenten, festgelegten Kriterien. Zum einen muss nachgewiesen sein, dass das nominierte Wort im öffentlichen Kontext verwendet wurde. Zum anderen wird geprüft, ob das Wort gegen Humanität oder sachliche Angemessenheit verstößt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Wort:
- gegen das Prinzip der Menschenwürde verstößt,
- gegen demokratische Prinzipien verstößt,
- einzelne Teile der Gesellschaft diskriminiert, stigmatisiert oder diffamiert,
- euphemistisch, verschleiernd oder irreführend ist.
Für den Wahl des Gewinnerworts irrelevant ist es, wie häufig ein Vorschlag eingereicht wurde. Es handelt sich um keine quantitative Abstimmung. Stattdessen führt die Jury inhaltliche Diskussionen darüber, welches der eingereichten Wörter zum diesjährigen Unwort des Jahres gekürt wird. Wesentlich ist dabei auch, dass das Wort einen aktuellen Bezug hat und der Kontext der öffentlichen Äußerung bekannt ist.
Beim Deutsch Lernen werden dir die Unworte wahrscheinlich nicht sofort begegnen...
So läuft das Auswahlverfahren zum Unwort des Jahres ab
Jede und jeder kann bis zum 31. Dezember eines Jahres per E-Mail Vorschläge für ein Unwort des Jahres einreichen. Das ist prinzipiell ganzjährig möglich. Im Oktober startet die Jury jedoch stets einen Medienaufruf, so dass die meisten Vorschläge in der Regel zwischen Oktober und Ende Dezember eingesendet werden.
Um ein Wort vorzuschlagen, musst du eine kurze Begründung mitschicken, warum das Wort in deinen Augen ein Unwort ist. Dazu solltest du dir der von der Jury festgelegten Kriterien (siehe oben) bewusst sein. Außerdem wird nach einem Beleg bzw. einer Belegquelle gefragt, wo oder wie das Wort öffentlich verwendet wurde - also beispielsweise im Fernsehen, der Presse oder anderen öffentlichen Medien.
Brauchst du einen Deutsch Lehrer online?
Die sechsköpfige Jury setzt sich Anfang Januar zusammen und diskutiert ausführlich die eingereichten Vorschläge nach Maßgabe ihrer definierten Kriterien. Innerhalb der ersten Januarhälfte verkündet sie innerhalb einer Pressekonferenz in der Phillips-Universität Marburg das ausgewählte Unwort des Jahres.

Die Unwörter des Jahres seit 1991 im Überblick
Du fragst dich, welche Wörter in den letzten Jahren als Unwort des Jahres auserkoren worden sind? Keine Sorge, hier kommt die vollständige Auflistung aller gewählten Unwörter der letzten 30 Jahre. Im Jahr 2020 hat die Jury übrigens erstmalig nicht nur eins, sondern gleich zwei Unwörter bestimmt.
Jahr | Unwort des Jahres |
---|---|
2021 | Pushback |
2020 | Rückführungspatenschaften Corona-Diktatur |
2019 | Klimahysterie |
2018 | Anti-Abschiebe-Industrie |
2017 | Alternative Fakten |
2016 | Volksverräter |
2015 | Gutmensch |
2014 | Lügenpresse |
2013 | Sozialtourismus |
2012 | Opfer-Abo |
2011 | Döner-Morde |
2010 | alternativlos |
2009 | betriebsratsverseucht |
2008 | notleidende Banken |
2007 | Herdprämie |
2006 | freiwillige Ausreise |
2005 | Entlassungsproduktivität |
2004 | Humankapital |
2003 | Tätervolk |
2002 | Ich-AG |
2001 | Gotteskrieger |
2000 | national befreite Zone |
1999 | Kollateralschaden |
1998 | sozialverträgliches Frühableben |
1997 | Wohlstandsmüll |
1996 | Rentnerschwemme |
1995 | Diätenanpassung |
1994 | Peanuts |
1993 | Überfremdung |
1992 | ethnische Säuberung |
1991 | ausländerfrei |
Ausgewählte Unwörter der letzten Jahre mit Begründung
Die Jury der sprachkritischen Aktion wählt die Unwörter auf Basis festgelegter Kriterien aus und führt dazu umfassende inhaltliche Diskussionen durch. Erfahre, warum einzelne Wörter gewonnen haben.
2021: Pushback
Das Fremdwort Pushback (englisch für "Widerstand" oder "Zurückweisung") bezieht sich auf das Zurückdrängen von flüchtenden Menschen an den Außengrenzen Europas. Er wurde in der Vergangenheit von verschiedenen Vertreter:innen der Politik, Medien und anderen Organisationen verwendet.
Die Jury kritisiert mit der Wahl als Unwort des Jahres 2021, dass der Begriff einen menschenfeindlichen Prozess beschönige. Asyl sei ein Grundrecht, das vielen Menschen durch die Grenztruppen verwehrt bliebe. Außerdem würde der Ausdruck nicht transparent die Gewalt offenlegen, die beim Zurückdrängen der Flüchtenden häufig angewandt würde.
Insgesamt wurden 2021 1308 Vorschläge eingesandt. Am häufigsten wurde dabei der Ausdruck "Tyrannei der Ungeimpften" genannt, mit 287 Einsendungen. Wie bereits erläutert spielt es jedoch für die Auswahl keine Rolle, wie häufig ein Begriff vorgeschlagen wird.
2020: Corona-Diktatur und Rückführungspatenschaften
2020 wurden zum ersten Mal zwei Unwörter des Jahres bestimmt. Vielleicht, weil 2020 ein außergewöhnlich aufwühlendes Jahr war?
Mit "Corona-Diktatur" spielten insbesondere Menschen mit rechtsextremen Ansichten auf die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Corona-Pandemie an und verurteilten diese als diktatorische Maßnahmen. Die Jury der sprachkritischen Aktion begründete ihre Wahl, indem sie erläuterte, dass der Ausdruck tatsächliche Diktaturen verharmlose.
Als Rückführungspatenschaften betitelte die EU-Kommission eine neue Vorgehensweise in der Migrationspolitik. Die Jury bemängelt, dass Abschiebungen durch den Begriff beschönigt würden, dass dieser zynisch sei und das Ergebnis von unmoralischen Diskussionen über Flucht und Migration.

2019: Klimahysterie
Im Jahr 2019, als zum Beispiel die Friday for Future Bewegung weltweit an Aufschwung gewann, wurde in Politik, Medien und Wirtschaft viel von "Klimahysterie" gesprochen. Die Auswahl als Unwort des Jahres äußert Kritik daran, dass der Ausdruck die Bewegungen und Bemühungen zum Klimaschutz diffamiere und Debatten diskreditiere.
Dafür erntete die Jury wiederum Kritik, da unter anderem die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh ihr vorwarf, mit der Wahl Stellung in Bezug zur Debatte um den Klimawandel zu beziehen. Für eine neutrale Position und um sachliche Diskussionen zu fordern, hätten sowohl "Klimahysterie" als auch "Klimaleugner" als Unwörter bewertet werden müssen.
*
Wie du vor allem in der Übersichtstabelle siehst, sind die ausgewählten Unwörter des Jahres auch immer Ausdruck von gesellschaftlichen Debatten und Kontroversen - sei es Corona, Migration, Klima... Sprache wird schließlich auch verwendet, um Unmut, Zynismus, Wut und andere starke Emotionen auszudrücken.
Nicht selten sind das Ergebnis Ausdrücke, die an sachlichen Kriterien gemessen nicht immer sensibel, sachlich angemessen und respektvoll sind. Die Jury der sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres arbeitet daran, solche missliche Verwendungen der deutschen Sprache zu reflektieren und der Öffentlichkeit vor Augen zu halten.
Wenn du schon einen Vorschlag für das "Unwort des Jahres 2022" hast, dann sende ihn doch bis Ende des Jahres an vorschlaege@unwortdesjahres.net.